„Ziegen sind zu faul, sich zu bücken“

Holm | Ein „Komm“ durchschneidet die Stille. Dann folgt ein gellender Pfiff. Sekunden später steht Marc Christians in einer Gruppe von Burenziegen. „Sie hören aufs Wort“, sagt der 46-jährige Holmer. Oder auf die Autohupe. Wenn seine Tiere nicht reagieren, holt Christians einen schwarzen Eimer aus seinem Fahrzeug. „Was der so bewirken kann“, murmelt er schmunzelnd und fügt an: „Den kennen sie aus dem Winterlager. Da sind sie sofort da.“ Selbst wenn dieser leer ist.

Zehn Tiere stehen derzeit auf der etwa einen Hektar großen Fläche in Holm. Wobei stehen falsch wäre. Sie erledigen ihren Job. Sie sollen das Gelände abgrasen. Ein Bruchteil seiner Herde. Etwa 500 Tiere hat Christians, der sich selbst „Schäfer im Bereich Ziegenhaltung“ nennt. „Ziegen sind das Schnelleinsatzkommando, um Flächen zu räumen“, sagt er.

Die Burenziegen fressen Gras, Büsche und Bäume. Bis zu einer Höhe von 180 Metern ist nichts sicher. Dabei macht sich der gelernte Maler und Lackierer eine Eigenart der Tiere zu Nutze: „Ziegen sind zu faul, sich zu bücken. Sie fressen alles ab Kniehöhe. Also etwa 40 Zentimetern.“ In Holm müssen sie sich meistens bücken, da es kaum hohe Gewäsche gibt. Bis auf einen Baum. „Kleine Bäume knabbern sie am Stamm durch. Birken mit drei bis vier Metern Höhe rammen sie im Verbund um“, so Christians. Er zeigt auf einen Baum, der mindestens 80  Zentimeter Durchmesser hat. Die Rinde ist auf einer Seite komplett abgefressen. „Der wird nächstes Jahr noch grün, aber im Jahr danach ist er tot.“ Seine Tiere sind für Behörden oder die Stiftung Naturschutz, für die er 250 Hektar Fläche pflegt, im Einsatz. „Die Ziegen sind vor allem im unwegsamen Gelände oder in Gebieten, wo man mit Sense und Säge nicht oder nur mit hohen Kosten arbeiten kann, gefragt“, erläutert Christians.

Herde mit 120 Tieren im Naturschutz im Einsatz

Die größte Herde mit 120 Tieren sei derzeit für das europäische Naturschutzprojekt Life Aurinia auf dem Truppenübungsplatz in Nordoe im Einsatz. Dort soll der europaweit geschützte Tagfalter wieder angesiedelt werden. „Die Ziegen grasen die Fläche ab, zerstören sie im Gegensatz zu Maschinen aber nicht“, so der gebürtige Moorreger. Im Auftrag der Unteren Naturschutzbehörde des Kreises Pinneberg grasen 60 Burenböcke im nationalen Geotop Liether Kalkgrube in Elmshorn. Die bisherigen Maßnahmen mit Motorsensen und viel Handarbeit während der Winterzeiten seien an ihre Grenzen gestoßen. Nun sollen die Holmer Ziegen helfen.

Diese entdeckte Christians 2005 für sich. „Ich war immer zu faul, Rasen zu mähen“, gesteht er ein. Bei einer Fläche von 3000 Quadratmetern wenig verwunderlich. Aus Bayern kaufte er die ersten 20  Burenziegen, die sich fortan um die Rasenflächen und Büsche kümmerten. „Ich bin dann vom Kreis Pinneberg angesprochen worden, ob ich nicht mit den Ziegen Landschaftspflege übernehmen kann“, erinnert sich Christians. Er sagte zu. Im Tävsmoor am Flugplatz Heist-Uetersen, in den Holmer Sandbergen oder den Grünbrücken bei Bad Segeberg waren seine Tiere bereits im Einsatz. „Es wurde immer größer“, so Christians. Vor allem seit 2011 seine Tiere im Life-Aurinia Projekt eingesetzt werden. Die „Arbeitszeit“ der Tiere reiche von Mitte April bis Mitte November. „Je nach Wetter bleiben die Ziegen draußen auf Grünflächen“, so der Holmer. Ansonsten geht es im Winter in den Stall. Aktuell sind sechs Herden im Einsatz. Einmal am Tag besucht Christians jede Herde. 250 Kilometer fährt er pro Tag durch Schleswig-Holstein.

Verarbeitung der Felle nur auf Bestellung

250 bis 300 Jungtiere zeugen die 13 Zuchtböcke pro Jahr. Nach zwölf Monaten ist für viele Böcke, nach zwölf bis 24 Monaten für Ziegen der Weg vorbestimmt. „Je nach Auftragslage lasse ich diese schlachten und verarbeiten“, sagt Christians, der die Erzeugnisse wie Ziegenmettwurst oder Ziegenleberwurst direkt verkauft – Telefon 0176-48216641. Zudem ist er Lieferant für das „Naturgenuss Festival“.

„Nur die Felle verarbeite ich nicht oder nur auf Bestellung. Aufwand und Kosten für Ziegenfell sind unglaublich hoch“, so Christians. Die Altziegen bleiben auf dem Hof. „Die haben Wohnrecht auf Lebenszeit“, scherzt der „Ziegenschäfer“. Dort lebt auch sein ganzer Stolz: Der beste Bock Deutschlands. Das 16 Monate alte Tier setzte sich im hessischen Butzbach mit seiner Form, dem Rahmen und einem Gewicht von 105 Kilogramm gegen 40  Konkurrenten durch. Im Landschaftsschutz kommt er nicht zum Einsatz. Als Deutscher Meister hat er andere Aufgaben.

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